unbewohnt

Unbewohnte Gebäude sind purer Luxus. Nicht nur deshalb, weil sich jemand herausnimmt, teuer Erbautes nicht zu nutzen oder mit Wenigem in großen Wohnungen zu Leben, wie beispielsweise der Maler, Bildhauer und Architekt Donald Judd. Er lebte in Marfa/Texas in riesigen Gebäuden und Arbeitsplätzen – einzig bestückt mit Skizzenpapier und spitzen Bleistiften. Unbewohnte Gebäude als Denkräume des Künstlers. Oder Grabmäler, in denen eine einzige Person 5.000 Quadratmeter beansprucht; Archive, die zu 99 Prozent unzugänglich sind; Inseln, die verseucht und unbetretbar gemacht werden. Sicherheitsbereiche oder Luxuszonen? Was ist mit Militäranlagen und Chemiestandorten? Niemand sieht sie, niemand darf sie betreten.

Es sind Räume, die geschlossen dem Habitat entzogen werden.

Und schließlich – der Verfall und die Verrottung von Häusern. Langsam aber sicher verschwindet das spärliche Mobiliar. Es reduziert sich auf Stuhl, Tisch und Bett. Das elektrische Licht wird durch Kerzenlicht ersetzt. Die Tapete löst sich. Alles Überflüssige verschwindet. Kälte und Nässe unbeheizter Räume lassen ein gutes Klima für alle Gerüche entstehen – man riecht förmlich den alten Kamin, sogar Holzboden und Türen scheinen aufzuatmen. Eine unwiderstehliche Patina entwickelt sich. Bemaltes Gemäuer tritt hervor, feine Spuren erzählen von Vergangenem. Motten fressen ihr ungeliebtes Muster in feine Tücher und Bezüge. Je edler die Qualität, desto besser absorbieren sie den Verfall, als wäre er schon in ihnen eingeschrieben. Gibt es etwas Schöneres als einen schiefen Schrank, der beim Öffnen quietscht, ganz im Einklang mit der Holztreppe, die knarzt? Es ist das Gefühl von Heimat, das darin wohnt.

Wenn man die schweren Vorhänge aufreißt und die Sonne mit dem Staub ihren Weg in den Raum zeichnet. Umso schöner, wenn dann die unwesentlichen Einbauten und leichten Deckenverkleidungen abfallen. Man sieht endlich das pragmatische Mauerwerk, die Proportion, den Rohbau. Stabil und archaisch. Es ist das rüde Einfache, das Unbewohnte, das besser ist, als jeder dekorierte Schuppen.

Das Unbewohnte öffnet die „weißen Flächen“ in Haus und Stadt. Es sind nichtgebaute Denkräume, jenseits des bürgerlichen Milieus, vorbereitet zur zukunftsfähigen Aneignung, zur Hausbesetzung. Sie locken an, was keinen Platz in der durchgeplanten Stadtgesellschaft findet. Wir brauchen wieder mehr von diesen aufgelassenen Räumen. Ja, wir brauchen mehr von der Möglichkeit, schön verfallen zu können.

Professor Christian Heuchel und Van Heuchel I Köln, im Mai 2021

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