Mein Zuhause. Jeder kennt es. In jeder Biografie taucht es auf. Meist selbstgebastelt aus Holz oder aus Pappe schnell verklebt: Das Puppenhaus. Es wird nach aktuellem Trend gekauft, stellt immer den idealisierten Querschnitt durch ein Haus dar: Drei Geschosse, schräges Dach, Zimmer an Zimmer nach Größe geordnet.
Hier wird Wohnen exemplarisch geübt: Im Dachstuhl lebt der alte Philosoph. Die Küche, als Ort der Produktion, wird je nach Geschick aus Nussschalen, Fingerhüten, Knöpfen und Streichhölzern möbliert. Die Innenwände sind mit Kreide bemalt – manch einer meiner Spielkameraden konnte sogar mit Gardinenstoff auftrumpfen. Das Puppenhaus, ein Abbild der Gesellschaft, der Gemeinschaft, der Kindheit und sogar des eigenen Zuhauses. Es ist gerammelt voll, Lampen zur Beleuchtung werden eingebastelt, der Kamin flackert. Das Spiel kann beginnen.
Es gab auch Puppenhäuser, die waren wertvoll und durften nicht berührt werden. Hier hatte sich schon unmerklich die erwachsene Kontrolle eingerichtet. Das Personal des Puppenhauses folgt der Fantasie des Besitzers. Je nach Bewusstseinsstand und Alter ist der Vater eine Kastanie, die Mutter ein Strumpf. Der Alligator lebt problemlos mit Barbie zusammen auf einer Ebene. Es gibt Puppen in edlem Meissner Porzellan, mit polierten Gesichtern und toten Augen. Und es gibt sie angezogen, mit Kleidern und Unterröcken, Trachten und Holzschuhen. Jede Nation besitzt ihre eigene Kollektion, ihr eigenes Weltbild.
Irgendwann wandert das Puppenhaus auf den Dachstuhl und wartet modernd darauf, an den Nachwuchs weitergegeben zu werden. Man traut sich nicht, es zu verbrennen. Vielleicht gibt es doch noch Leben in diesen leicht muffigen Häusern en Miniatur?
Alles ist klein. Schön ist der Blick im Kinderformat. Gute Architekten bauen sie, diese Pappschachteln. In allen Materialien, in allen Größen. Es ist schon bemerkenswert, wieviel sich von dem, was man bauen möchte, darstellen lässt. Puppenhäuser bereiten übrigens auch in manchem Horrorfilm den Showdown vor. Das Labyrinthische in Stanley Kubricks ‚Shining‘ wurde im Puppenhaus gedreht.
Heute sind die Innenarchitekturen karg und wenig möbliert. Übertragen auf ein Puppenhaus könnte die Moderne nicht wirklich punkten. Sie schafft es nicht, das Vollgestopfte zuzulassen, die Staffagen sinnfällig zu kombinieren.
Heute verlässt sich der Baumeister auf neutrale Bilder aus dem Computer. Auf zweidimensionale Entwürfe, die der Bauherr kaum versteht.
Wieso bedarf es einer permanenten Abstraktion, um das Ergebnis für gut zu befinden, abzusegnen und schließlich zu genehmigen, wenn das Einfache so nahe liegt? Warum nutzt man nicht ‚mein Haus‘? Wir sollten wieder ein Puppenhaus bauen! Für den Bauherrn, um Bedürfnisse und Ideen begreifbar zu machen – am besten möbliert man es gleich gemeinsam mit ihm. Und man macht natürlich das Puppenhaus für das Bauamt gleich mit.
Das würde alles sehr viel einfacher machen.
Christian Heuchel und Van Heuchel mit Birgit Franke I Köln, im Oktober 2020