Memory Room

Es gibt eine Tendenz zur Rückschau auf die Zeit des Dark Age. Befeuert durch Computerspiele und Phantasiefilme wie Harry Potter und Game of Thrones gibt es sie wieder: Die Beschwörung von Geistern, die Zaubererwelten, Séancen und mystische Symbole. Dem mystischen Hang zur Romantik und zum Mittelalter wird nachgegeben. Untermalt durch besonderes Vokabular, gefärbt in Moll.

In der demokratisierten Gesellschaft hatten wir das Gefühl des bunten Graus, des sowohl-als-auch. Jetzt scheint es so, als würden wir uns zurücksehnen nach der Klarheit von Schwarz/Weiß, von Gut/Böse. Unerträglich rückwärtsgewandt trifft dies den Geschmack des Bürgerlichen und bremst unseren Innovationswunsch.

Aber ist es nicht immer wieder schön, in Erinnerungen zu schwelgen? Sich bewusst zu machen, wo wir herkommen? Unzählige Fotoalben durchzublättern und abzutauchen in Erinnerung an Reisen, Familie und Freunde? Phänomenal – doch sind nicht alle Erinnerungen irgendwie ähnlich? Wir sind süchtig nach diesem Memory Room. Das Gefühl ist verschwommen, milchig, nebelig, unscharf. Man kann es nur erahnen. Aus der Erinnerung sind Szenen zusammengesetzt: sehr präzise, sehr genau, immer wieder in gleicher Abfolge. Das Gehirn geht in Kontakt mit dem Gefühl, die Seele scheint überzeugt: So war es! Und die Erinnerungen verlieren sich mehr und mehr.

In der Architektur haben wir die Möglichkeit, den gesellschaftlichen Wunsch des Memory Rooms in architektonischen Projekten zu reflektieren und umzusetzen.

Gute Beispiele dafür:
Das Gebrüder Grimm Museum in Kassel – ein Museum für die Herren Grimm kann per se nur märchenhaft sein; es dealt mit der Natur: ein Haufen aus Laub; ein grüner Hügel in dem alles verschwindet.
Die Bibliothek in Marburg – man hört förmlich den Nachtwächter, wie er mit der Lampe die letzten Gäste aus den Lesesälen vertreibt; das Licht ist aus, die Zeit steht still; alles konzentriert sich auf ‚das Wissen‘; alles ist aus dem rötlichen Sandstein, der hier beheimatet ist. Die Fassaden der Häuser sehen aus wie Halloween-Fratzen.
Das Archiv für den Kunstfond in Brauweiler – hier taucht man in die Erde zum emotionalen Kern, oben eine Glasfläche als Spiegel, so kommt man zur enormen Sammelwut von Zinnsoldat, Herzschrittmacher & Co.
Das Landesarchiv NRW in Duisburg – Tausende Regalkilometer mit alten Akten schlängeln sich in den Turm; ein Monstrum an der A 40; wie ein Fels in der Brandung. Hat man das Gebäude einmal gesehen, wird man es nie wieder vergessen!

Das ist das, was man von guter Architektur erwarten muss. Gebäude, wie ein Film von Lars von Trier – schön, traurig, atmosphärisch. Das schafft die Erinnerungsfähigkeit von Architektur. Denn, nur was Charakter hat, wird erinnert.

Christian Heuchel und Van Heuchel mit Birgit Franke I Köln, im November 2020

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