Man schreibt das Jahr 2020 n. Chr. Homeoffice. Wir alle kennen die Video-Chats mit ungekämmten Haaren, unrasiert im Schlafanzug. Was sich da im Hintergrund abspielt, lässt ganz tief blicken. Große Unternehmen glänzen mit Dachstuhlambiente und so mancher Kollege sieht es als gute Idee an, vor seinem Bücheregal zu skypen. Schwarze, vorbeihuschende Schatten ziehen meinen Blick in den Bann. Von den spielenden Kindern im Hintergrund ganz zu schweigen. Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Wer einen vorzeigbaren realen Raum sein eigen nennt, auch.
Aber wer hat den schon?
Unsere heutige Architektur ist privat und nicht für das Einbrechen durch die Öffentlichkeit gemacht. Doch irgendwann passt sie nicht mehr zur Gesellschaft, weil sie durch äußere Einflüsse überholt wurde. Dann passen die genormten Programme der „Norm-Familien-Wohnung“ nicht mehr zum Leben im Jetzt. Und weil Architekturräume sich nicht spontan anpassen können, werden sie passend gemacht: Die Hausbibliothek entsteht in der Nische, der Ort der Arbeit ist im Flur, das vierte Kind findet auf dem neuen Podest der Altbauwohnung Platz.
Natürlich gab es in der Tradition des Bauens – bevor die Moderne mit ihrer kreativen Erfindungshysterie die besten Lösungen erfand – schon gute, flexible Antworten für das Wohnen. Gute Beispiele dafür sind: Der Bauernhof mit Arbeitsräumen, die das Zusammenleben von Tier und Mensch möglich machten; die Architektur der Gründerzeit mit ihren vielen neutralen quadratischen Räumen für höchst flexible Nutzung und Umnutzung; das Durchgangszimmer in der Enfilade mit der natürlichen Abstufung von „vorne Öffentlich, hinten Privat“.
Heute lieben wird diese zufälligen Raumfigurationen, die in der Moderne ausgelagert wurden und nicht mehr wie früher zur Wohnung gehören. Wir nennen sie charaktervoll und atmosphärisch. Plötzlich entstehen sie wieder, die Grundrisse schrulliger, nicht vermietbarer Abstellkammern wie überdimensionierte Bügelzimmer oder Durchgangszimmer, wo man wie im Zugabteil das Privatleben durchquert und Bewohner aufschreckt, um an seine Pantoffeln zu kommen.
Doch es wird noch mehr auf uns zukommen!
Das Arbeiten wird fester Bestandteil unseres Wohnens werden. Nicht nur Atelier, Musikzimmer und Nähzimmer werden zur Versorgung gebraucht. Man wird Schule sein, Labor und Fabrik. Nicht auszumalen, wenn dann der Kunde zu uns nach Hause kommt.
Das Quietscheentchen meiner Tochter lässt schon mal grüßen.
Christian Heuchel und Van Heuchel mit Birgit Franke I Köln, im September 2020