Audienz beim Baumeister. Voller Erwartung nähert man sich dem dunklen Steinbau, leichter Nieselregen begleitet zum Eingang. Im Inneren, ein Tisch auf vier Beinen, mitten im schwarzen Raum. Muffiger Staub im sanften Dämmerlicht. Eine horizontale weiße Steinplatte biegt sich unter ihrer Last. Im Hintergrund gestapelt: Dicke Atlanten, unzählige Zeichnungen und Modelle. Unheimlich mutet das an, was hier geboren wird.
Auf kaltem Weiß liegen platonische Körper. Zylinder, Quader, Kugel – uralte Repräsentanten der Architektur, geordnet nach Größe, Höhe, Proportion, Licht und Schatten. Geformt aus edlen Materialien mit schönen Namen: Travertin, Serpentinit, Onyxmarmor, Tinos verde antico, Nero Marquina. Eine Versuchsanordnung einer Welt der Zwerge und Riesen im Kleinformat. Die Stadt in Erbsengröße, gezirkelt am Reißbrett.
Hier schreibt und zeichnet er. Hier regiert der menschenscheue Schatten in freudiger Erwartung. Hier berührt er die Welt. An dem Altar, einem Seziertisch mit Hammer und Zange. An ausgerollten Karten im Kommandostand wie Kleopatra, Karl der Große und Napoleon. Der Baumeister, Créateur mit bleichem Gesicht, komplett in schwarz gekleidet, entwickelt hier seine Mustersprache. Kompass, Zirkel, Dreikant, Zeichenschiene – seine Instrumente zur Vermessung der Welt – liegen bereit. Seine Idee zur Vollkommenheit der menschlichen Schöpfungskraft trägt den Architekten. Er will das makellose Bauwerk mit vollendeter Proportion und Form schaffen. Er will die Natur übertreffen – und einfach Bauen, das macht ihn so gefährlich.
Doch heute kauert er unter seinem Tisch, unser Joker. Fortune hat ihn verlassen. Melancholisch seine Erinnerungen an große Zeiten. Die Enttäuschungen und Demütigungen sind zu groß. Heute ist er der Scheinriese ‚Herr Tur Tur‘ aus Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Heute ist er der, der nichts dafür kann, dass sich die anderen wegen seiner Größe vor ihm fürchten. Sein Tisch ist alles, was er noch hat.
Eine Instanz, die den Überblick hält.
Christian Heuchel und Van Heuchel mit Birgit Franke I Köln, im September 2020