Kleidung und Architektur hängen zusammen? Aber ja! Schauen wir uns doch mal alte Abbildungen des 19. Jahrhunderts an: Da flanieren Menschen auf breiten Boulevards durch Berlin. Farben und Formen passen zum Stadtbild, zum Architekturschmuck Schinkels und Sempers. In den Visionen früherer Science-Fiction-Filme scheinen die Anzüge meist Jumpsuits zu sein; Helme, Stiefel und Handschuhe sind aus demselben Material, aus dem auch Fahrzeuge und Stadt erbaut worden sind. Heute graut es einem geradezu vor der Vorstellung, wie sich unendliche Touristenmassen in der Sixtinischen Kapelle tummeln und Handybilder schießen, die nicht zum Thema passen. Die Kapelle im Vatikan ist einst zum Konklave, zur Wahl des Papstes gebaut worden: Weiße Gewänder in buntem Raum. Und nicht umgekehrt.
Die Welt der Analogien zwischen Kleidung und Gebäude ist unendlich. Der Hut ist Dach des Hauses. Gewand und Tracht sind Fassade und Fenster – gerne auch als reale Umsetzung desselben Ornamentes im häuslichen Alltag. Der Nadelstreifenanzug muss als Sofabezug und Teppich herhalten. Und der Wandschmuck ist das schöne Kleid, das man sich an die Wand genagelt hat. Heute wird die Fassade von der Architektur gelöst und das Gebäude stellt mehr als nur Funktion dar: Es soll den Bauherren porträtieren, Werbeikone sein. Form follows fashion – das ist der Antrieb des Bauens geworden! Architekturfremde Motive sind da sehr willkommen. Das „anything goes“ der 1980er Jahre hat sich durchgesetzt. Vorbei die Zeiten, wo das Haus zurückhaltend als graue Maus in der Häuserzeile stand.
Fassade ist Haut, the second skin, eine erotische Phantasie, ein leichter Protektor geworden. Inspiriert durch das Denken in Kollektionen, Farben, Formen und markigen Sprüchen werden auf dem Laufsteg der Metropolen Kollektionen gezeigt. Glamourös, klassisch, modern, wild und hungrig. Mode ist eindeutig und zeigt den jeweiligen Stil der Zeit. Von der Baukunst hat man das lange nicht erwartet – sie war eher zeitlos, starr. Sie war Fundament und Kompass, nach dem man sich richten konnte. Das Diktat des Neuen macht vor der Architektur nicht halt. Vorbei die Zeiten, wo man noch wusste, was man anziehen sollte. Wer kennt denn noch den Unterschied zwischen Anzug und Smoking? Der Jogginganzug wird nun zum kulturellen Kampfplatz. Die Modemarke ACRONYM zum Beispiel entwirft urbane Kampfanzüge, ganz so, als müsste man sich im urbanen Berlin durchschlagen.
Und hier der Tipp des Architekten: Architektur sollte nicht so sehr dem eigenen modischen Empfinden folgen; nicht dem Trend. Architektur ist nicht modisch. Architektur muss etwas Klassisches haben. Sie kann sich nicht permanent ändern.
Die Klassiker der Architektur sind keiner Mode gefolgt. Sie haben selbst Trends gesetzt. Der Eiffelturm, einst das meistgehasste Bauwerk, wird nun heiß geliebt. Die Wohnmaschinen von Le Corbusier: geliebt, gehasst und wieder geliebt. Mies van der Rohe hat sich vom Trend befreit – er hat selbst Stil erschaffen. Architektur kann man nicht andauernd neu erfinden! Aber die Bauherren werden immer jünger, internationaler und sie haben die Welt gesehen. Sie fliegen günstig nach Madrid, London und New York. Ja, unsere Gesellschaft ist offenbar sehr informiert. Aber architektonische Werte wie Raum, Licht, Material können da optisch nicht mithalten.
Die Essenz? Ich sehe es so: Der Architekt hat die Aufgabe, den Bauherren vor seinen eigenen Wünschen und wahnsinnigen Entscheidungen zu schützen. Und ich halte es einfach wie Lawrence Weiner: „Protect me from what I want“.
Professor Christian Heuchel und Van Heuchel mit Birgit Franke I Köln, im Januar 2021