In der Tiefe der Oberfläche
Über die Oberfläche der Bauten kommuniziert die Stadt mit uns. Die Fassaden versteinern, was der Erbauer als Sprachrohr seiner Zeit sagen wollte. Mit der Oberfläche der Fassade wird dem Stadtbild hinzugefügt, was es zum Strahlen oder zum Untergang braucht. Das Innere der Gebäude bleibt zur hemmungslosen Nutzung. Die Hülle wird vom Inhalt getrennt. Befreit vom Dogma der Moderne. Die Fassade spiegelt die Gesetze der Funktionalität nicht mehr wider. Warum auch? Alte Mauern waren meterdick, trugen Haus und Dach und schützten uns vor dem Klima.
Heute erfinden wir Fassaden – die flach wie Flundern sind. Leichte Screens, transparente Hüllen von den Maschinen erbaut, von Robotern anonym verklebt. Bürohäuser mit vertikalen und horizontalen Rastern, der graue Ausdruck immer gleich.
Doch in der Tiefe der Oberfläche muss sich alles abspielen – inhaltlich, visuell, gestisch. Da hilft es, den Künstler zu fragen, der es dank seiner Professionalität versteht, alles in die dünne Oberfläche zu investieren? Was hier an Mehrwert erscheint, ist mehr als reines Material. Ein schöner Schein. „Oil on Canvas“ oder „Peinture“ – die Veredlung spielt bei der Entstehung von Kunstwerken eine zentrale Rolle. Und Reduktion ist das Geheimnis der Kunst.
Oskar Kokoschka – ringt um die Oberfläche: Schicht für Schicht wird die Farbe hauchdünn aufgetragen. Das Bild wird immer dicker und schwerer. Die Bewegung und Handschrift werden eingefroren. Sie verleihen dem Werk den authentischen Ausdruck.
Hans Hartung – berühmt wurde er mit seinen „drei Sekunden Bildern auf Bierdeckelformat“: Es braucht eine meditative Stimmung, um die Hand auf den Punkt zu kontrollieren. Die Frage ist, wie kann man nach langjähriger handwerklicher Redundanz eine einmalige Aussage mit nur einer Geste treffen?
Jackson Pollock – schleudert die Geste nicht nur aus seinem Handgelenk: Sein ganzer Körper ist im Spiel und im Zufall involviert. Die Bilder waren schon damals groß – wie Teppiche.
Jeff Koons – Meister in der Erzeugung von „Tiefe in der Oberfläche“: Die idealen Körper werden unendlich lange poliert. Es entsteht ein unglaubliches Abbild alltäglicher Ikonen. Hunde, Ballons und Ballerinen in einer handwerklichen, gar manischen Perfektion. Scheinbar inhaltlos, oberflächlich, aber rätselhaft geblieben.
Das ist das Geheimnis und Rätsel der Architektur zugleich: Über die Oberfläche eine Spannung auf das, was sich im Innern noch verbirgt, zum Klingen zu bringen. Sie lässt jede Stimmung heben, ist fester Bestandteil, um das Ganze eindringlich erfassbar zu machen. Daher liegt in der Gestaltung der Tiefe dieser Oberflächlichkeit eine große Chance, das Gebäude in den Kanon der Stadt einzufügen.
Christian Heuchel und Van Heuchel mit Birgit Franke I Köln, im Oktober 2020